1. Startseite
  2. Kultur

Halbzeit beim Burg Herzberg-Festival: Sonnige Zeiten für Hippies

KommentareDrucken

Hippies, Rock, Weltmusiik
Weltmusikalisches Ereignis und musikalischer Höhepunkt des Herzberg-Festivals 2013: Bassekou Koyate, 3. von links, und seine Band N'goni Ba © Ditzel

Kassel/Bad Hersfeld. Wenn es so etwas wie „das perfekte Festival“ gibt, dann ist die 2013er Auflage des Hippie-Festival vor der Kulisse der Burg Herzberg zumindest nach den beiden ersten Tagen sehr nahe dran.

 „Schuld daran“ sind eine Künstlerauswahl, die nach Meinung vieler Fans zum Besten zählt, was je in der Geschichte des Festivals geboten wurde und der Sonnenschein, den, so sagen es die Stammgäste ,„wir endlich auch mal verdient haben“.

Im vergangenen Jahr war das Festival bekanntlich im Dauerregen und Schlamm erstickt und ein/zwei Regentage gehörten auch in den Vorjahren immer dazu.

Diese Stimmung fasste auch ex-Genesis Gitarrist Steve Hackett, Besuchermagnet des zweiten Festivaltages gleich zu Beginn seines Auftritts in Worte: „Alles, was Ihr braucht, ist Sonnenschein“, sagte er in Anspielung auf das All-you-need-is-love-Motto der Hippies, „dann läuft so ein Festival wie von selbst“. Doch der Reihe nach.

Zwischen Techno und Rock

 Zum Festivalauftakt spielte ein Eigenwächs: Brennente, die Band von Festival-Pressesprecher Gunther Lorz brachte die ersten Festivalgäste mit einer Mischung aus Rock und Chanson plus erotisch leicht anstößigen Texten, die hier noch nicht mal auszugsweise wiedergegeben werden können, in eine lockere Stimmung, die Bluesgitarrist Hendrik Freischlader im Anschluss nur aufgreifen musste.

Etwas schwieriger hatten es die 17 Musiker der ansonsten weltweit gefeierten Les Tambours de Bronx, die nicht etwa aus der New Yorker Bronx stammen sondern aus Nevers, der Hauptstadt von Burgund – dort aber in einem Viertel aufwuchsen, das man im Volksmund die Bronx nannte. Die Musik- und Performance-Truppe, deren Musiker mit Axt-Stielen auf 225-Liter-Ölfässern trommeln, war den HipHop- und House-Fans unter den Besuchern zu rocklastig, den Rockfans wiederum „zu Techno“, wie es zwei aus Oldenburg angereiste Besucherinnen formulierten.

Doch die meisten Rockfans warteten zu dieser Stunde ohnehin nur auf den einzigen Europa-Auftritt der US-Jam-Band moe. Sie wurden mit einem zweieinhalbstündigen Konzert belohnt, das erst gegen 2.30 Uhr am Freitagmorgen endete. Wie es sich für eine Jam-Band gehört, begann der moe. -Auftritt relativ verhalten. Band und Fans mussten erst einmal „zueinander finden“, doch was sich dann nach gut dreißig Minuten entwickelte, wurde am nächsten Tag in den Gesprächen der Besucher sogar mit den Hippie-Ikonen Grateful Dead verglichen.

Weltmusikalisches Ereignis

 Der Freitagnachmittag begann funky. Deutschlands Bass-Legende Hellmut Hattler (Kraan, Tab Two) und seine musikalische Partnerin Siyou Isabelle Ngnoubamdjum brachten als Duo Siyou 'n Hell die Musikfans mit ihrer energiegeladenen Gospel-Dancefloor-Mixtur (ja, das geht!) schnell in Partylaune. Höhepunkt ihres Auftritts war eine Coverversion von CameosWord up“, das sie mit Auszügen aus Bob Dylans „All along the Watchtower“ verbanden (auch das geht!). Die CD des ungewöhnlichen Duos ging beim anschließenden Verkauf vor der Bühne weg wie warme Semmeln.

„Wo ist der Bassgitarrist?“ rief derweil Bassekou Kouyate, der Grammy-nominierte, 2008 mit dem Weltmusik-Preis der BBC ausgezeichnete und in der ganzen Welt gefeierte N’goni-Virtuose, hinter der Bühne. Der Kulturbotschafter Malis war mit seiner Band Ngoniba als nächster dran, doch zuvor wollte er unbedingt Hellmut Hattler kennenl lernen, „weil ich so ein Bassspiel noch nie gehört habe.“

Für einen Weltstar ist Kouyate, der dem gleichen Griot-Stamm wie auch Habib Koite und Toumani Diabate angehört, ein absolut bescheidener und stets freundlich lächelnder Mensch, der sich für jedes Kompliment mit einer Verbeugung bedankt, als würde er es zum ersten Mal hören. Mit dieser ihm eigenen Freude im Herzen wird er ab sofort zur Kenntnis nehmen müssen, dass sein Konzert am Freitagnachmittag nach Übereinstimmung der Besucher, der anwesenden Musikjournalisten und auch der Veranstalter jetzt schon in die Festivalgeschichte eingegangen ist.

Wie in Trance

Was Kouyate und drei seiner Musiker auf ihren N’gonis (dem Banjo verwandte, archaisch anmutende Zupfinstrumente) boten, dazu die Stimme von Sängerin Amy Sacko und die Perkussionisten, das war nicht nur Weltmusik vom Feinsten, sondern hob das musikalische Erleben in eine neue Dimension. Tausende tanzten in der Spätnachmittagsonne mit geschlossenen Augen auf der Festivalwiese wie in Trance.

Höhepunkt war ein Instrumental, das wiederum aus den Instrumentalpassagen von Sly Stones „Want to take you higher“ und „Changes“ (Jimmy Hendrix/Buddy Miles) bestand. Wenn Koyate noch zwei oder drei Stunden länger gespielt hätte, hätte sich wohl niemand darüber beklagt.

Großes Kino

 Doch auf die Herzberg-Besucher wartete am Freitag noch ein weiteres Großereignis, das hinter der Bühne bereits den ganzen Tag vorbereitet wurde. Bereits nachts um 3 Uhr wurde mit der Montage der Light-Show für Steve Hackett begonnen, den ganzen Tag über wurden Gitarren neu bespannt, gestimmt und gewienert, Schlagzeug und Tasteninstrumente auf bewegliche Podeste gehievt.

Impressionen vom Freitag

Impressionen vom Samstag

Der Aufwand für Steve Hackett war das krasse Gegenstück zu den Afrikanern am Nachmittag, die ihre Instrumente selbst zur Bühne trugen, einstöpselten und ihren Soundcheck mit ihrem Tourmanager absolvierten. Das Ergebnis war natürlich ganz großes Kino, wie in den alten Tagen, als Peter Gabriel noch der Frontmann war und Phil Collins hinterm Schlagzeug saß - eine perfekte Show, die mit „Watcher of skies“ und „Dancing with the moonlit knight“ begann. Im weiteren Verlauf gab es Genesis-Klassiker wie „I know what I like“, „The Musical Box“ und eine zwanzigminütige Fassung von „Supper’s ready“. Das Verhältnis von Steve Hackett zur Genesis-Musik gleicht dem einer langjährigen Beziehung/Ehe, in der man sich mal mehr mal weniger liebt.

Generationswechsel

 Am Freitagabend auf dem Herzberg-Festival muss die Liebe groß gewesen sein. Hackett spielte sich völlig entspannt und altersweise durch das Programm, das auch diejenigen begeisterte, die nicht mit dem Genesis-Oeuvre vertraut sind. So antwortete ein junger Mann auf die Frage eines Älteren: „Weißt Du, wie das Stück heißt, das der (Hackett) gerade spielt?“ antwortete: „Schau mich an, wie alt ich bin. Woher soll ich denn Genesis kennen?“ Es sieht so aus, als ob sich am Fuße der Burg Herzberg ein Generationswechsel anbahnt.
(von Wilhelm Ditzel)

Lesen Sie auch:

Hippie-Land in der Sonne

Auch interessant

Kommentare