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Ex-Nato-Einsatzplaner Scholz: Bundeswehr-Einsatz in Syrien ist sinnlose Symbolik

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Aleppo
Fast fünf Jahre syrischer Bürgerkrieg: Szene aus dem weitgehend zerstörten Aleppo. © picture alliance / dpa

Kassel. In Windeseile haben sich Bundesregierung und Bundestag für den Syrien-Einsatz ausgesprochen. Deshalb ist die Bundeswehr seit dieser Woche Akteur im Syrienkrieg.

Wir sprachen darüber mit dem ehemaligen Nato-Einsatzplaner Ulrich Scholz, der selbst Kampfjets geflogen und Piloten auf Tornado-Flugzeugen ausgebildet hat. Scholz ist grundsätzlich gegen eine Kriegsbeteiligung in Syrien. Da sich der Westen aber für einen Einsatz gegen den IS entschieden hat, müsse man abgestimmt und gemeinsam handeln - und Bodentruppen einsetzen.

Dient der Syrien-Einsatz einem militärischen Zweck oder ist er eine Symbolhandlung? 

Ulrich Scholz: Er ist ein politischer Symbolakt. Das hat sicherlich auch mit Unwissenheit der politischen Entscheidungsträger zu tun. Eine Frau Von der Leyen weiß zu wenig über die Möglichkeiten von Luftwaffeneinsätzen.

Ein zweiter Punkt: Luftwaffen suchen im Moment händeringend nach Begründungen, um ihr Milliardenbudget zu rechtfertigen. Jetzt gibt es wieder die Chance dazu, deshalb schickt man sechs Tornados nach Syrien. In dieser Hinsicht gibt es im Bundesverteidigungsministerium sicher eine Agenda, die aber nicht öffentlich genannt wird.

Sind die Tornado-Flüge militärisch also untauglich oder bringen sie etwas? 

Scholz: Die bringen nichts. Das hat aber nichts mit den Flugzeugen selbst oder mit ihrer Technik zu tun. Die Recce-Tornados sind inzwischen digitalisiert und können Bilder in Echtzeit aus dem Cockpit zum Boden übertragen.

Die Flüge bringen deshalb nichts, weil wir keine symmetrische Kriegslage haben. Wir kämpfen dort nicht gegen ein Land, das Infrastruktur, Armee und Flugplätze als Ziele hat. Wir sind in einer asymmetrischen Situation. Das heißt, die einzigen Ziele, die der Gegner bietet, ist er selbst, seine Kämpfer, seine Führungspersonen. Und die machen es jetzt genauso wie der Vietkong im Vietnamkrieg oder später andere wie die Taliban in Afghanistan. Sobald sie aus der Luft angegriffen werden, mischen sie sich unter die Bevölkerung. Die ist ihr bester Schutz.

Das heißt auch, sobald gebombt wird, tötet man Unschuldige. 

Scholz: Eindeutig, das ist so. Wir bringen dort Zivilisten um. Und was die Aufklärung durch die Tornados angeht: Sie können noch so hoch auflösende Bilder vom Marktplatz in Rakka (Hochburg der IS-Terrormiliz in Syrien, d.Red.) machen, was man darauf nicht erkennt, ist die tatsächliche Lage dort unten. Also zum Beispiel: Laufen dort IS-Kämpfer weg, oder sind es Kinder, weil vielleicht der Bus kommt - das erkennt man nicht.

Was braucht man also am Boden? 

Scholz: Man braucht in asymmetrischen Kriegslagen ganz engen Kontakt zur Bevölkerung am Boden. Man braucht dort Informanten, um ein Bild darüber zu bekommen: Wo ist der Gegner? Was macht er gerade? Wo sind seine Anführer? Das Bild bekommt man nicht mit Hightech vom Satelliten oder vom Flugzeug aus.

Es heißt immer wieder, ohne Bodentruppen sei der IS nicht zu besiegen. Stimmt das? 

Scholz: In der heutigen Nato-Doktrin gilt eigentlich das Prinzip „Joint“ (siehe Joint Warfare), also Teilstreitkräfte-gemeinsam. Das heißt, alle Denker im Militär schauen gemeinsam auf das Problem. Und sie überlegen dann: Wer hat welche Fähigkeiten und kann zur Problemlösung beitragen?

Hier aber hat man seitens der Politik dem Militär gesagt, löse das Problem IS, aber Bodentruppen bekommst du nicht. Ein General, der seine Aufgabe ernst nimmt, hätte antworten müssen: Das geht nicht. Jetzt bombardiert man und hofft darauf, dass die Peschmerga u.a., den IS am Boden besiegen. Eine solche Kriegführung verstößt gegen jede militärischer Vernunft.

Wie kann der IS wirkungsvoll bekämpft werden? 

Scholz: Wenn man sich für eine Kriegsbeteiligung entscheidet, also sich nicht völlig aus Syrien heraushalten will, geht es nur nach dem Prinzip „Joint“. Wenn man sich für Bodentruppen entscheidet, sei es auf Nato- oder US-Ebene, dann muss man gemeinsam rein mit klarer Analyse, eindeutiger Kommandostruktur und Zielsetzung. Die entscheidende Frage dabei ist: Was muss geschehen, dass wir den IS so reduzieren, dass er keine Kraft, auch keine politische Kraft, mehr darstellt. Daran muss sich die Aufstellung und Zahl der eigenen Kräfte ausrichten. Alles, was wir derzeit machen, bedeutet bloß: Wir verlängern den Krieg und wir erhöhen die Zahl der Opfer.

Warum ist die Anti-IS-Koalition nicht bereit, Bodentruppen einzusetzen? 

Scholz: Ich sage es mal sarkastisch: Niemand will die nächsten Wahlen verlieren. Dass Soldaten in Zinksärgen nach Hause kommen, wird kein Politiker in einer Demokratie lange Zeit tolerieren. Und das Risiko dafür ist hoch. Wenn man mit Bodentruppen reingeht, wird man sich auf Häuserkampf einstellen müssen. Der würde sehr blutig werden. Um zum Beispiel eine Straße feindfrei zu bekommen, müsste man jeden einzelnen Scharfschützen aus seiner Hausdeckung herauskämpfen. Syriens Herrscher Baschar al-Assad hat das mit dem Abwurf von Fassbomben zu lösen versucht. Dabei sind sehr viele Zivilisten getötet worden.

Was sind die Lehren aus Irak-Krieg und Afghanistan-Einsatz, die in Syrien nicht wiederholt werden dürfen? 

Scholz: Der grundsätzliche Fehler ist, sich militärisch überhaupt einzumischen. Die politische Agenda treibt diese Einmischung natürlich voran. Und ganz oben steht die amerikanische Agenda. In Afghanistan ging es den USA um Terrorchef Bin Laden. Dann war man plötzlich mit der islamischen Stammeskultur der Afghanen konfrontiert und sagte, nun haben wir Bomben geworfen. Jetzt können wir uns nicht einfach wieder umdrehen. Wir müssen den Menschen dort auch noch etwas Gutes tun.

Aber dort nach westlichem Muster eine Kultur ändern zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt. So etwas dauert Generationen. Den Irak Saddam Husseins hat man besetzt und zerschlagen. Das endete in einer Katastrophe. Krieg als Mittel der Politik hat weder in Afghanistan noch im Irak funktioniert. Nun steht man vor dem Problem Syrien und will schon wieder mit Krieg das Problem lösen.

Aber zwingt der Terror nicht zum Handeln? 

Scholz: Unter dem Eindruck der Terrorangriffe hier im Westen ist ein Politiker natürlich unter Druck. Man erwartet von ihm Handeln. Die bequeme Lösung liegt auf der Hand. Wer kann augenfällig und mit viel Getöse etwas tun? Antwort: Die Luftwaffe. Man sieht daran: Die Politik hat nichts gelernt.

Aber wie kann man denn den IS eindämmen, wenn militärische Interventionen auf Dauer nichts bringen? 

Scholz: Der IS greift uns zuhause mit Terror und Unmenschlichkeit an. Er versucht damit, uns zu zwingen, irgendwann durch Einschränkung der Freiheitsrechte die Demokratie zu demontieren. Durch die Grausamkeiten in Syrien will er uns ebenfalls zum militärischen Handeln zwingen, weiß aber, dass wir uns nicht trauen, unter Inkaufnahme hoher Opferzahlen massiv und entschieden zu handeln.

... also sich wehren oder ergeben? 

Scholz: Daraus folgt: Sich gegen den Terror zuhause zu schützen, ist geboten, keine Frage. Aber wir dürfen dabei nicht überreagieren. In Syrien hätte man sich militärisch raushalten müssen. Das Militär sollte allenfalls die Flüchtlingslager an den Grenzen sichern und humanitär helfen. Wenn wir eine Million Soldaten aufbringen konnten, um den Irak zu destabilisieren, können wir auch 500 000 Mann aufbringen, die an Syriens Grenzen den Flüchtlingen helfen.

Darüber hinaus sollte man in Syrien alle politisch-diplomatischen Kanäle nutzen. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen: Wir müssen auf Geheimkanälen versuchen, mit Anführern des IS zu kommunizieren. Das haben die Briten in Afghanistan mit den Taliban getan, um zu regionalen Absprachen zu kommen. Das war sinnvoll, weil es Menschenleben schützte. Darum geht es, und nicht darum, Recht zu haben.

Scholz
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Ulrich Scholz (66) ist Oberstleutnant a.D. Er war Planungsstabsoffizier in Nato-Hauptquartieren und Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr. Er flog Phantom-Kampfjets und bildete Tornado-Piloten aus. Scholz ist ledig und lebt im schleswig-holsteinischen Appen (Kreis Pinneberg).

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