Abgas­skandal Chance auf Entschädigung

3921
Abgas­skandal - Chance auf Entschädigung

Ärger um die Abgase. Sie enthalten bei fast allen Autos mit Diesel­motor, die bis einschließ­lich nach Euro 6b zugelassen worden sind, viel mehr giftiges Stick­oxid als erlaubt. © Getty Images / Herbert Kehrer

Auto­hersteller haben illegal getrickst. Dafür haften sie. Neues Urteil aus Stutt­gart: Auch Mercedes hat Kunden vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt.

Neues Urteil im Muster­verfahren des Verbraucherzentrale Bundes­verband (vzbv) gegen Mercedes: Wegen etlicher Modelle mit Euro 6-Diesel­motoren hat der Hersteller seine Kunden vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt. Zumindest Mitarbeiter des Unter­nehmens trifft der Schuld­vorwurf. Dafür hafte das Unternehmen, auch wenn Vorstands­mitgliedern kein Vorsatz nach­weisbar sei. Noch bei weiteren Euro 5-Modelle von Mercedes reduziert die Motorsteuerung die Abgas­reinigung unter bestimmten Bedingungen illegal, ohne dass den Mitarbeitern des Konzerns Vorsatz nach­weisbar ist.
Ober­landes­gericht Stutt­gart, Urteil vom 28.03.2024
Aktenzeichen: 26 MK 1/24
Verbraucher­anwälte: Dr. Stoll & Sauer Litigation, Lahr
Sowohl Mercedes als auch der vzbv können beim Bundes­gerichts­hof Revision einlegen. Der Auto­konzern hat schon angekündigt: Er wird das Urteil anfechten.

Folge des Muster-Urteils, würde es rechts­kräftig werden: Wo Mercedes Kunden vorsätzlich und sittenwid­rig geschädigt hat, wird der Konzern die betroffenen Autos zurück­kaufen müssen. Kunden würden dann den Kauf­preis zurück­erhalten. Mercedes dürfte aber eine Entschädigung für die mit dem jeweiligen Wagen gefahrene Strecke abziehen. Bei Mittel­klasse-Modellen sinkt die Entschädigung nach Ansicht der allermeisten Gerichte nach 250 000 Kilo­metern sogar auf 0. Von Oberklasse-Modellen erwarten viele Gerichte eine Lauf­leistung von 300 000 Kilo­metern. Wegen der Euro 5-Autos, bei denen Mercedes und seinen Mitarbeitern kein Vorsatz nachgewiesen ist, muss das Unternehmen Besitzern der Autos zwischen 5 und 15 Prozent des Kauf­preises erstatten. Dieser so genannte kleine Schaden­ersatz bleibt in voller Höhe erhalten, so lange der jeweilige Wagen die insgesamt zu erwartende Lauf­zeit von 250 000 oder 300 000 Kilo­metern noch nicht erreicht hat. Erst danach sinkt er. Nach weiteren 12 500 (Mittel­klassewagen bei Erstattung von 5 Prozent des Kauf­preises) bis 45 000 Kilo­meter (Oberklassewagen bei Erstattung von 15 Prozent des Kauf­preises) gibt es gar nichts mehr.

Angebot auswählen und weiterlesen

3921

Mehr zum Thema

3921 Kommentare Diskutieren Sie mit

Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.

Kommentarliste

Nutzer­kommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 05.07.2023 um 20:52 Uhr
    Musterfestellungsklage

    @Balou65: Wegen desselben Autos können Skandalautobesitzer nicht erneut Schadenersatz bekommen. Etwaige Forderungen sind schon verjährt. Wahrscheinlich schließt darüber hinaus eine Regelung im Vergleich wie "...zur Abgeltung aller Forderungen..." weitere Forderungen aus. Das gilt, obwohl die von VW neu entwickelte Motorsteuerung ebenfalls rechtswidrig war. Insoweit dürfte nach der Genehmigung dieser Motorsteuerung durch das Kraftfahrtbundesamt ein nach den Kriterien des Bundesgerichtshofs unvermeidbarer Verbotsirrtum vorliegen.

  • Balou65 am 05.07.2023 um 18:02 Uhr
    Musterfestellungsklage

    Hallo,
    eine Frage an die Stiftung: Seinerzeit habe ich mich an der VW Musterfestellungsklage beteiligt und auch einen entsprechenden Betrag von VW bekommen. Gibt es jetzt (Bundes­gerichts­hof, Urteile vom 26.06.2023), eine neue Möglichkeit von VW weiteren Schadensersatz zu erhalten?
    schönen abend

  • Profilbild Stiftung_Warentest am 28.06.2023 um 10:14 Uhr
    Verjährung

    @floflo: Wir denken: Der bei Verstoß gegen die EU-Zulassungsregeln ersatzfähige Schaden der Abgasskandalopfer entsteht mit dem Beginn der Nutzung des Wagens, auf die der Vertragsschluss abgezielt, in aller Regel also mit Lieferung. Das kommt der durch die illegale Motorsteuerung vermittelte (theoretische) Mangel an Verfügbarkeit zum Tragen. So haben wir die gestern verkündeten Urteile verstanden. Abzuwarten bleibt, ob die ausführliche Urteilsbegründung noch genauer erkennen lässt, wie der Bundesgerichtshof sich den Abgasskandal 2.0-Schadenersatz genau vorstellt.

  • floflo1990 am 27.06.2023 um 18:03 Uhr
    Fahrlässigkeit

    Der BGH hat die Frage der Fahrlässigkeit nicht entschieden, sondern lediglich Maßstäbe für die Beurteilung vorgegeben. Welche Folgen das haben wird, wird unterschiedlich gesehen. Für mich ist klar: Es wird immer eine Einzelfallentscheidung bleiben. Die Kläger müssen darlegen und beweisen, dass Abschalteinrichtungen vorhanden sind. Die Autohersteller müssen darlegen und beweisen, welchem Zweck die Abschalteinrichtungen dienten und tatsächlich erfüllten und wie sie sich auf das Schadstoffverhalten auswirken. Handelt es sich danach um Abschalteinrichtungen, die vor der sehr restriktiven Auslegung der maßgeblichen EU-Vorschrift durch den EuGH als zulässig angesehen werden konnten, wird man einen unvermeidbaren Verbotsirrtum annehmen müssen, da man an die Automobilindustrie keine höheren Anforderungen stellen kann als an die Gerichte, die sich nicht in der Lage sahen, die EU-Vorschriften verbindlich auszulegen.

  • floflo1990 am 27.06.2023 um 17:19 Uhr
    Re: Verjährung

    Stiftung_Warentest hat recht. Die zehnjährige Verjährungsfrist endet nicht mit Ablauf des Kalenderjahres sondern genau 10 Jahre nach Entstehen des Anspruchs. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob man den Entstehungszeitpunkt im Kauf des Fahrzeugs sehen kann. Zum einen ist ein Fahrzeug beim Neuwagenkauf zum Zeitpunkt des Kaufabschlusses meist noch gar nicht hergestellt, so dass auch kein Schaden entstanden und folglich auch kein Anspruch entstanden sein kann, zum anderen sieht der BGH den Schaden beim bloß fahrlässigen Thermofenster ja gerade nicht in der Eingehung einer Verbindlichkeit - dann hätte es den großen Schadensersatzanspruch bejahen müssen -, sondern in der Gefahr einer Rücknahme oder Aufhebung der Typgenehmigung mit der Folge, dass das Fahrzeug seine Zulassungsfähigkeit verliert. Dann müsste man beim Entstehungszeitpunkt m.E. entweder auf den Tag der Herstellung oder noch eher den Tag der ersten Zulassung abstellen, mit dem das Fahrzeug in den Verkehr gebracht wurde.